November 2019
1. Tag Iglesias - Arborea
1.040 Hm 89 km
Heute ist der 06. November 2019. Gestern bin ich in Cagliari, der Hauptstadt von Sardinien gelandet. Nach einem gemütlichen Bummel durch die Stadt gehe ich früh ins Bett. Gleich nach dem Frühstück hole ich mein gebuchtes Rad und steige in den Zug nach Iglesias an der Westküste der Insel. Von dort starte ich los. Das Wetter und meine Laune sind perfekt. Ich radle durch kleine Dörfer, unbewohnte Hügellandschaften und erklimme den 549 Meter hohen Passo Genna Bogat. Die saftigen Kaktusfeigen entlang der Straße berühre ich lieber nicht, denn wie man sagt, soll die Bekanntschaft mit den feinen Stacheln oft wochenlang spürbar sein. Plötzlich erblicke ich eine giftgrüne Gottesanbeterin auf der Straße. Wow, wenn das mein Sohn Alexander sehen könnte, er liebt diese Tiere.
So sitze ich den ganzen Tag im Sattel und erreiche am späten Nachmittag mein Etappenziel Arborea. Hier sollte es eigentlich Flamingos geben, ich bekomme aber leider keine zu Gesicht. Dafür genieße ich einen wundervollen Sonnenuntergang am Meer.
2. Tag Arborea - Capo San Marco - Oristano 140 Hm 61 km
Alghero - Sassari 120 Hm 38 km
Ich starte bei leichtem Nieselregen, es ist außerdem ziemlich frisch. Kurz nach Oristano wird mir dann aber ordentlich heiß, den mein Rad hat einen Platten. Der Pannenspray den ich mitgenommen habe wirkt null, und so schiebe ich mein Rad zurück in die Stadt. Zu meinem Glück bin ich nur wenige Kilometer außerhalb von Oristano, wer die Einöde von Sardinien kennt, weiß, was ich damit meine. Nach einigem Hin und Her finde ich schließlich einen "Schrauber" der mir in wenigen Minuten den bereits mehrfach geflickten Schlauch tauscht. So ein Glück.
Allerdings ändere ich meine geplante Route und fahre nur bis zum Capo San Marco. Am Weg dorthin plagt mich sturmartiger Gegenwind, dafür ist es am Cap umso schöner. Wieder zurück in Oristano fahre ich mit dem Zug nach Alghero und von dort wieder per Rad nach Sassari. Es wird ziemlich schnell dunkel, ich habe nur eine kleine Radlampe dabei und fahre die letzten Kilometer bei völliger Dunkelheit über holprige Feldwege, denn auf der Straße ist es mir zu gefährlich. Ich bin heilfroh, als ich endlich in meiner Unterkunft ankomme. Und die Pizza schmeckt mir heute doppelt so gut.
3. Tag Alghero - Palmadula 720Hm 68km
Auch heute starte ich bei trübem Wetter und starkem Wind. Der kleine Nationalpark Porto Conte hat landschaftlich einige Leckerbissen zu bieten. Einsame Strände, versteckte Wege und schließlich das Capo Caccia mit seinen zahlreichen Grotten, die im Moment allerdings geschlossen sind. Dennoch genieße ich diesen zauberhaften Moment und nutze den traumhaften Ausblick für ein gemütliches Frühstück.
Durch winzige Dörfer, öde Gegenden, vorbei an verlassenen Häusern fahre ich weiter Richtung Norden. Immer wieder erwischt mich ein kurzer Regenschauer, der Wind flacht zum Glück ab. Langsam aber sicher komme ich in einen "flow", meine Gedanken hören auf sich zu drehen, es wird ruhig in mir. Am Nachmittag erreiche ich schließlich meine Unterkunft, etwas außerhalb von Palmadula, einem kleinen Bergdörfchen. Das Appartement ist einfach zauberhaft, ich werde von der Besitzerin mit Kaffee, Croissant und frischem Obst empfangen. Als Tipp empfiehlt sie mir, noch heute die nahe Bucht von Lampianu aufzusuchen. Also trinke ich gemütlich meinen Kaffee, nehme eine Dusche, ziehe mich um und schwinge mich nochmals aufs Rad.
Über eine steile Treppe gelange ich an die Bucht, ich bin alleine hier, es ist einfach unbeschreiblich schön. Niemals werde ich diese besondere Stimmung vergessen. Das Geräusch der Kiesel, die von der Brandung auf den Strand gespült werden, der Wind in meinen Haaren, der Geruch nach Salz, das Gefühl von Freiheit aber auch Einsamkeit, Dankbarkeit, Stolz, Trauer.
4. Tag Palmadula - Castelsardo 520Hm 73km
Bei Schönwetter ist diese Strecke sicher traumhaft zu fahren. Mein Tag war allerdings grau, trüb und regnerisch. Da sind über 70 Kilometer eine Herausforderung. Überhaupt ist es auch ziemlich kalt und ich bin nass bis auf die Knochen. So radle ich den ganzen Tag an der stürmischen Küste entlang, immer wieder holen mich Sturmböen beinahe vom Rad.
Zu allem Übel liegen an der Strecke nur winzige Ortschaften, ohne Bars oder Restaurants und erst im Hafenstädtchen Porto Torres habe ich die Möglichkeit, mich in einem Cafe am Hafen etwas aufzuwärmen. Ich bin heilfroh, als ich am Nachmittag in meine Unterkunft komme. Das Appartement ist allerdings ungeheizt und nicht besonders gemütlich. Aber ich lasse mir den Abend nicht verderben. Ich trockne meine Schuhe mit dem Fön, dusche heiß, wickle mich in alle Decken, die ich finden kann, koche mir Gnocci und mache mir aus Rotwein, einem Säckchen Schwarztee, Honig und Zimt einen herrlich heißen Glühwein. Danach schlafe ich tief und fest und hoffe auf ein besseres Wetter für morgen.
5. Tag Castelsardo - Santa Teresa 630Hm 62km
Als ich am Morgen losfahre, ist es zumindest trocken und im Tagesverlauf wird das Wetter immer besser. Die Gegend ist nicht sonderlich aufregend, ich radle stundenlang durch das Landesinnere. In Vignola komme ich dann wieder an die Küste und nutze das natürlich gleich für einen Abstecher ans Meer. Inzwischen ist es wunderbar warm und sonnig.
Am frühen Nachmittag beziehe ich meine Unterkunft in Santa Teresa, nach einer Dusche und einer kurzen Ruhepause schwinge ich mich nochmal aufs Rad zum Capo Testa. Dort erwartet mich die wundervollste Landschaft auf meiner Reise entlang der Küste von Sardinien. Die kantigen und doch geschliffenen Steine üben eine zauberhafte Magie aus. Man könnte meinen, ein Riese wollte mit den riesigen Steinblöcken etwas bauen, und hat sie dann einfach liegen lassen.
Es ist später Nachmittag, ich bin fast alleine auf diesem unglaublich schönen Fleckchen Erde. Stundenlang klettere ich über Felsblöcke, krieche in Felsspalten, sitze und schaue auf die Weite des Meers, bin einfach nur im Moment, atme, bin glücklich. Ein Tag, den ich niemals vergessen werde.
6. Tag Santa Teresa - Porto Cervo 620Hm 60km
Die legendäre Costa Smeralda präsentiert sich heute den ganzen Tag über grau in grau. Wenig ist zu sehen vom türkisblauen Meer aus den Hochglanzmagazinen der Urlaubsprospekte. Aber ich bin noch immer beseelt von den Eindrücken des gestrigen Nachmittags, und so radle ich unverdrossen durch die trübe Landschaft. Ich muss mich beeilen, denn um 14.00 Uhr habe ich die Schlüsselübergabe in meiner Unterkunft vereinbart. Kurz bevor ich mein Tagesziel am Capo Ferro erreiche verschwindet der Weg im Gebüsch. Durch dieses kleine Loch werde ich mich sicher nicht samt Fahrrad und Gepäck zwängen, also fahre ich nochmal ein Stück zurück, und komme dennoch pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt. So ein Glück, denn jetzt beginnt es zu regnen. Nur blöd, das ich niemanden antreffe. Auch meine Anrufe werden nicht angenommen. Nachdem ich nach einer Stunde Wartezeit bei Sturm und Regen nun doch noch nass bis auf die Knochen geworden bin, beschließe ich, in den noblen Hafenort Porto Cervo zu radeln.
Dort möchte ich im Schutz einer Überdachung vor einem Nobelladen meine Kleidung wechseln, als die Besitzerin vor die Tür tritt und mich bittet einzutreten. Ich bin ziemlich verblüfft, aber sie hat schon ein Handtuch in der Hand das sie mir reicht und bringt mich in einen Raum, indem ich mich umziehen kann. Wow, mit soviel Hilfsbereitschaft habe ich nicht gerechnet. Und dann werde ich noch an den Tisch mit allen Mitarbeiterinnen gebeten, für mich ist schon aufgedeckt. Ich sitze mitten unter lachenden, gut gelaunten Frauen und genieße eine heiße Minestrone und allerlei italienische Leckerbissen. Ich schildere Beatrice, der Chefin des Ladens mein "Unterkunftsproblem." Sie meint, kein Problem, ich kann bei Ihnen in der Villa bleiben. Und so werde ich schließlich samt Rad abgeholt und verbringe den Nachmittag vor dem warmen Kamin in einer wundervoll gemütlichen sardischen Villa mit einer schnurrenden Katze am Schoß. Am Abend kommt die Familie nach Hause, wir essen gemeinsam Pizza und ich erzähle meine Geschichte. Als ich mich am Abend in das feine Bett kuschle, kann ich immer noch nicht glauben, was ich da erlebt habe. So viel Herz, soviel Gastfreundschaft, soviel Liebe. Ich bin einfach nur dankbar für diese Erfahrung auf meiner Reise. Sie gibt mir ganz viel Vertrauen und das Gute im Menschen zurück, das ich in den letzten Jahren verloren habe.
Tag 7. Porto Cervo - San Teodoro 560Hm 57km
Bevor meine Gastgeber am Morgen die Villa verlassen, bekomme ich noch einen Espresso, Umarmungen und Glückwünsche. Dann sind alle weg, ich soll einfach die Tür hinter mir schließen, wenn ich losfahre. Unglaublich! So mache ich mich bei Sonnenschein auf in Richtung Capriccioli. Dort soll es besonders schöne Buchten geben, und ja, es ist zauberhaft dort. Ich koche mir eine Tasse Kaffee und setzte mich an einem geschützten Platz in die Sonne, lasse meine Füsse ins türkisblaue Meer baumeln und genieße.
Der restliche Tag verläuft dann eher unspektakulär, zwischendurch mache ich immer wieder mal kurze Pausen am Strand. Durch Olbia radle ich durch, habe ehrlich keine Lust, mich ins Getümmel der Stadt zu stürzen. Lieber nutze ich am Abend noch die Zeit, um es mir in der Unterkunft gemütlich zu machen und einen Abendspaziergang ans Meer zu unternehmen.
8. Tag San Teodoro - Orosei 510Hm 73km
Mittlerweile habe ich mich sowohl an die tägliche Radstrecke, als auch an meinen Rucksack gewöhnt. Ich radle, mache Pause am Strand, wann immer ich Lust dazu habe und genieße die Zeit. Als ich am frühen Nachmittag in Orosei ankomme erwartet mich die nächste Überraschung. Das gebuchte Hotel hat geschlossen. Und so verbringe ich die nächsten Stunden in einem Cafe mit WLAN damit, zum zweiten mal innerhalb weniger Tage mit den Mitarbeitern von Booking com zu telefonieren, um eine Ersatzunterkunft zu finden.
Im Gegensatz zu Porto Cervo klappt es diesmal aber und ich kann dann doch noch in einem kleinen, netten Hotel in Orosei einchecken. In der Nacht schlafe ich nicht besonders gut, ich träume viel und mache mir Sorgen, über den angekündigten Wettereinbruch mit Sturmböen für morgen. Ausgerechnet morgen habe ich eine lange Etappe über den Basso Genna Silana geplant und muss dabei auf über 1.000 Hm.
9 Tag. Orosei - Tortoli 1.210Hm 80km
Frühstücken und dann gut verpacken im Regendress. Los geht´s - wird schon schief gehen. Der Himmel ist grau und voller Regenwolken, der Wind bläst, allerdings noch erträglich. Und so bleibt es zu meinem Riesenglück auch fast den ganzen Tag über. Ich kämpfe mich Kilometer um Kilometer durch menschenleere Landstriche. Das kleine Dörfchen Dorgali, ist schließlich die letzte Ortschaft, die ich für die kommenden Stunden durchfahren werde.
Ab hier geht es in die Berge, ich hoffe das Wetter verschlechtert sich nicht. Vor mir liegt eine Paßstraße in der Länge von über 20 Kilometer, ein wenig mulmig ist mir schon. Egal, im schlimmsten Fall drehe ich um, aber natürlich werde ich das nicht machen, so gut kenne ich mich schon. Während der Auffahrt begleiten mich Nieselregen und Wolkenfetzten, Autos fahren hier kaum. Als ich schließlich überglücklich den Paß erreiche, kommt die Sonne durch die Wolken und ich mache eine kurze Pause.
Mit der erwarteten gemütlichen Abfahrt wird allerdings nichts, denn die erwarteten Sturmböen fordern mich auf der gesamten Strecke bis nach Urzulei. Die Böen sind so stark, das ich teilweise auf die Gegenfahrbahn geweht werde, zudem muss ich voll in die Pedale treten, um voran zu kommen. Zum Glück ist wie gesagt kaum Verkehr. Zur Entspannung radle ich nach dem Check in noch nach Arbatax an die Bucht, wo ich einen wunderbaren Sonnenuntergang erleben darf.
10. Tag Tortoli - Olia Speciosa 710Hm 100km
Gleich am Morgen radle ich am roten Felsen von Arbatax vorbei. Eine sehr beeindruckende Felsformation direkt am Hafen. Und dann .....un altro giorno sotto la pioggia. 100 Kilometer in teils strömendem Regen und Kälte. Mal ehrlich, langsam habe ich die Nase voll. Zudem gibt es auch heute kaum Möglichkeiten, sich aufzuwärmen und Pause zu machen. Puhh, selten war ich so froh wie heute, das ich meine Unterkunft erreiche und heiß duschen kann.
11. Tag Olio Speciosa - Cagliari 740Hm 80km
Als ich am letzten Tag meiner Radreise aufwache, empfängt mich strahlender Sonnenschein. Voll motiviert lege ich die letzte Etappe zurück. Mit Blick auf zauberhafte Buchten, meine Gedanken schweifen immer wieder zurück und lassen die Ereignisse der letzten Tage nochmals Revue passieren.
An einem wundervollen Sandstrand bei Mandorli mache ich Halt für die letzten Erinnerungsbilder. Die Brandung donnert an die Küste, ich spüre den Wind auf der Haut und schmecke das Salz auf meinen Lippen. Am frühen Nachmittag erreiche ich schließlich mein Ziel: Die Hauptstadt Cagliari.
Nach 11 ereignisreichen und unvergesslichen Tagen, 850 Kilometern und über 7.500 Höhenmetern, habe ich also die Insel (fast) umrundet. Was bin ich doch für ein cooles Huhn. Ich lasse mir einen kleinen Radler auf dem Dach meines Hausbootes schmecken, das heute meine Unterkunft sein wird. Am Abend gibt es noch frischen Fisch und Gemüse und einen zauberhaften Abend an Deck meines Bootes.
Danke, das ihr mich wieder begleitet habt. Bis zur nächsten Reise, eure Barbara
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